Überglücklich lagen sich Spieler, Betreuer und die zahlreichen mitgereisten Fans nach dem Abpfiff in der Sporthalle Rodgau in den Armen. Mit 30:28 hatten die Mittelhessen gerade den Tabellenvierten in der Staffel Süd-West bezwungen und dabei gleichzeitig den Klassenerhalt in der 3. Liga in trockene Tücher gepackt. Damit erspart sich die personell auf dem Zahnfleisch kriechende Mannschaft eine quälend lange Abstiegsrunde und kann sich in Ruhe auf die neue Saison vorbereiten.
Alfred Hitchcock hätte die Frage über Sein oder Nichtsein nicht besser in Szene setzen können. Erst am letzten Spieltag sollte die Entscheidung darüber fallen, welches Team das rettende Ufer erreicht oder in die Relegation gehen muss. Mitbewerber um einen direkten Nichtabstiegsplatz waren dabei der TV Kirchzell, die mHSG Friesenheim-Hochdorf und unser junges Team. Alle drei Mannschaften hatten zum Saisonende dicke Bretter zu bohren: Kirchzell musste in Gelnhausen antreten, Friesenheim hatte den Staffel-Sieger Hanau zu Gast und die Spandau-Buben fuhren zum Tabellenvierten nach Rodgau-Nieder-Roden. Sollte Friesenheim gegen Hanau verlieren, dann hätten sich Mittelhessen aufgrund des direkten Vergleichs auch eine Niederlage im Rodgau leisten können. Überdies gab es noch div. Konstellationen und Rechenschieber-Modelle, die bei entsprechenden Spielverläufen auch den TuS Dansenberg in Abstiegsnöte hätte kommen lassen.
Kurzum: Die HSG war gut beraten, durch einen Punktgewinn in Nieder-Roden den Sack zuzumachen - aber dennoch liefen bei allen Fans der Mittelhessen parallel zum Spiel ihrer Jungs die Liveticker zu den anderen Spielen heiß.
Ohne die verletzten Philipp Opitz und Leon Bremond startete die Spandau-Sieben gut in die Partie. Tim Rüdiger, Noel Hoepfner und Fynn Steinmüller hatten nach gut 6 Minuten für eine 3:1-Führung gesorgt, aber danach kamen die Gastgeber immmer besser ins Spiel und so hieß es nach 12 Minuten 6:3 für Nieder-Roden. Die Führung der Rodgauer war auch eine Folge der mangelnden Chancenverwertung durch die Grün-Weißen - einem Problem, das sich durch die gesamte Saison wie ein roter Faden gezogen hat. Bereits nach einer Viertelstunde musste Axel Spandau seine Akteure beim Stand von 7:4 zur Auszeit bitten, denn es lief alles andere als rund im Spiel seiner Mannschaft. Und, siehe da: die Ansprache fruchtete und bis zur 23. Minute hatten die Mittelhessen den 10:10-Ausgleich hergestellt. Konsequenterweise versuchte nun der Trainer der Rodgauer den Lauf der Gäste zu unterbinden und legte den grünen Karton. Die letzten Minuten der ersten Halbzeit blieben umkämpft. Rodgau ging in Führung - die HSG glich aus und mit der Schlusssirene konnten die Gastgeber das 15:14 erzielen.
In der Halbzeitpause gingen die Blicke verstärkt auf die Ergebnisse der Konkurrenz - und sie verhießen nichts Gutes: Staffelsieger Hanau trat in Friesenheim alles andere als meisterlich auf und lag zur Halbzeit 12:9 zurück!
Umsomehr waren die Spandau-Schützlinge unter Druck, in Halbzeit 2 etwas Zählbares einzufahren.
Nach 10 Minuten Spielzeit im zweiten Durchgang hatte sich ergebnismäßig wenig getan. In einem intensiv geführten Spiel lagen die Hausherren weiterhin mit einem Tor in Führung (19:18). Dies sollte sich aber in den nächsten Minuten ändern. Als Mittelmann Lukas Gümbel eine 2-Minuten-Zeitstrafe absitzen musste, ging Rodgau kurze Zeit später mit 22:18 in Front. Es folgte eine erneute Auszeit durch Axel Spandau, aber es blieb bis rund 10 Minuten vor dem Abpfiff bei einer 3-Tore-Führung für die Baggerseepiraten.
Hanau hatte gleichzeitig wohl das Handballspielen eingestellt und lag mit 26:18 in Friesenheim aussichtslos zurück. Sollte es bei dieser Konstellation bleiben, würden die Mittelhessen in die Relegationsrunde gehen müssen, aber noch waren knapp 10 Minuten zu spielen.
Mit aller Macht stemmten sich nun die Spandau-Buben gegen die drohende Niederlage. Simon Böhne vernagelte sein Tor, die Abwehr war aufmerksam und erzielte mehrere Ballgewinne und angetrieben von einem kämpferischen Lukas Gümbel lief es nun im Angriff sehr viel besser.
Nachdem Malvin Werth als neuer 7m-Schütze in der 53. Minute auf 26:24 verkürzte, war es Lukas Gümbel, der mit 3 Treffern in Folge bis zur 56. Minute die viel umjubelte Führung für die Mittelhessen erzielte (27:26, 56. Minute). Doch Nieder-Roden war keineswegs gewillt, im letzten Saisonspiel - überdies vor eigenem Publikum - als Verlierer vom Platz zu gehen und so entwickelte sich in der Rodgaustrom Sportarena ein echter Handball-Krimi. Nach 20 weiteren Sekunden konnte Rodgau zum 27:27 ausgleichen, aber nun waren die Rookies in Grün und Weiß der entscheidende Faktor. Noch in der gleichen Minute brachte Noel Hoepfner mit seinem 5. Treffer die HSG erneut in Führung und der jüngste Akteur im Trikot der Mittelhessen, Phil Spandau, jagte mit 2 Hammerwürfen den Ball unhaltbar ins gegnerische Tor (30:27, 59. Minute). Damit war der Sack zu und die gesamte Bank und die HSG-Fans feierten euphorisch bereits vor dem Abpfiff den Sieg ihrer Mannschaft. Die Ergebnisse der Konkurrenz interessierte jetzt wirklich niemanden mehr - man hatte den Klassenerhalt aus eigener Kraft erreicht!
Den ungegliebten Gang in die Abstiegsrunde muss übrigens nun der TV Kirchzell antreten, der in Gelnhausen unterlag.
Es war ein wahrer Kraftakt, den das Team an diesem Tag leistete: körperlich wie mental - und man muss den Hut ziehen, wie es die Mannschaft geschafft hat, mit diesem Druck umzugehen. Alle Mannschaftsteile haben hierzu ihren Beitrag geleistet. Simon Böhne war erneut eine Bank im Tor der Grün-Weißen, der Abwehrblock um Kapitän Marvin Lindenstruth und Madu Okpara ackerte mit viel Leidenschaft, im Angriff wurde geduldig gespielt und - gerade im 2. Durchgang - auch die sich ergebenden Chancen genutzt. Lukas Gümbel erwies sich als glänzender Regisseur, Passgeber und Torschütze. Fynn Steinmüller profitierte von dessen Anspielen und münzte sie in tolle Tore um. Über Tim Rüdiger braucht man an dieser Stelle kaum ein weiteres Wort zu verlieren - er spielte einfach eine super Saison. Jonas Müller und Tim Lauer, die lange mit Verletzungen zu kämpfen hatten, kamen immer besser zurecht. Die Entwicklung von Noel Hoepfner ist ebenfalls besonders bemerkenswert - er steigerte sich von Spiel zu Spiel. Auch Phil Spandau hat eindrucksvoll auf sich aufmerksam gemacht. Natürlich ist Handball ein Mannschaftssport und hierbei sind auch die Spieler erwähnen, die noch nicht so große Spielanteile haben: Florentin Datz, Finn Knop und Simon Belter waren immer zur Stelle, sobald sie gebraucht wurden.
Bedenkt man nun, dass Leon Boczkowski, Philipp Opitz und Leon Bremond längerfristig ausgefallen sind, ist der Rang 9 in der Abschlusstabelle schon als großer Erfolg einer blutjungen Mannschaft zu sehen!
Torstatistik:
Fynn Steinmüller und Tim Rüdiger (je 6), Noel Hoepfner und Lukas Gümbel (je 5), Phil Spandau, Jonas Müller, Simon Belter und Malvin Werth (je 2)
02.04.2023